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Entwicklung von ESG-Strategien wird Kernaufgabe für Risikomanager

Frankfurt am Main, 30. November 2022 – Mehr als die Hälfte der Risikomanager sind bereits maßgeblich an den ESG -Bemühungen ihres Unternehmens beteiligt. 77 Prozent sagen, dass die Risikomanagement-Funktion eine noch stärkere Rolle bei der Entwicklung und Steuerung von ESG-Strategien spielen sollte. Trotz dieser Ambitionen der Risikomanager hat bisher nur ein sehr konkrete und messbare Maßnahmen ergriffen, um den Risiken aus ESG-Anforderungen Rechnung zu tragen. Dies fand WTW, eines der weltweit führenden Unternehmen in den Bereichen Advisory, Broking und Solutions, in seinem 2022 erstmals durchgeführten ESG Global Risk Managers Survey heraus.

An der Befragung beteiligten sich zwischen April und August 2022 weltweit 312 Unternehmen aller Größenordnungen, darunter 32 aus dem deutschsprachigen Raum (DACH). Der Survey untersucht, wie sich ESG-Faktoren auf das Risikomanagement auswirken und wie die Risiko-Verantwortlichen bislang in Entwicklung und Steuerung von ESG-Strategien eingebunden sind.

„ESG rückt weltweit in den Fokus der Risikomanager“, so Thomas Olaynig, Leiter Corporate Risk & Broking DACH bei WTW. Im Widerspruch dazu steht aber, dass die bisher getätigten Fortschritte der Unternehmen – das Festschreiben von konkreten Maßnahmen und messbaren Zielen – noch auf sich warten lassen: Nur 17 Prozent der Teilnehmer bestätigen, im Risikomanagement über dokumentierte ESG-Ziele mit klaren Meilensteinen zu verfügen. „Unternehmen können sich aber nur dann gut gegen ESG-Risiken absichern, wenn sie relevante Ziele, Maßnahmen und Erfolge vorweisen können“, sagt Olaynig.

Einfluss von ESG im heutigen Risikomanagement gering

Ein Drittel der Befragten gibt an, dass ESG bereits heute die Risikostrategie ihres Unternehmens beeinflusst, weitere neun Prozent erwarten dies für die kommenden zwei Jahre. Unter den Befragten im DACH-Raum erkennen nur 24 Prozent bereits einen Niederschlag im jetzigen Risikomanagement, aber 54 Prozent erwarten ihn in den kommenden zwei Jahren.

Hohe Erwartungen für die kommenden Jahre

Für die Zukunft hat ESG einen wachsenden Stellenwert: Für drei Viertel der Befragten (74 Prozent) gehört die Verbesserung ihres ESG Scores zu den Kernaufgaben ihrer Geschäftstätigkeit. Dabei sind die regionalen Unterschiede stark: Während in der Asia-Pacific-Region 90 Prozent ESG in den Fokus rücken, sind es in der EMEA-Region 83 (DACH 84) Prozent, in Nordamerika lediglich 57 Prozent (Abb. 1).

DACH-Region besonders “ESG-sensibel”

Die Unternehmen der DACH-Region erzielten in vielen Bereichen höhere Ergebnisse als der weltweite Durchschnitt. Ein Grund: Im DACH-Raum haben sich besonders viele international tätige Konzerne an der Studie beteiligt: Ihr Anteil betrug 69 Prozent im Vergleich zu 41 Prozent im weltweiten Teilnehmerfeld. Diese Unternehmen müssen ESG oft stärker im Blick haben als kleinere, national tätige Unternehmen.

So geben 73 Prozent der DACH-Teilnehmer – im Vergleich zu 55 Prozent weltweit – an, dass die Risikomanagementabteilung ihres Unternehmens stark in die ESG-Bemühungen involviert sei. 84 Prozent finden – im Vergleich zu 77 Prozent weltweit –, dass Risikomanager eine noch aktivere Rolle einnehmen sollten. Mehr DACH-Unternehmen (24 versus 17 Prozent) verfügen bereits über dokumentierte Ziele mit klaren Meilensteinen, und mehr (38 versus 29 Prozent) diskutieren derzeit das Aufstellen von ESG-Zielen für ihr Risikomanagement (Abb. 2).

„Trotz der Aufwärtsentwicklung sind 24 Prozent mit klaren ESG-Zielen recht wenig”, sagt Olaynig. „Wer seinen ESG Score merklich verbessern will, braucht dafür eine Strategie mit Zielen und messbaren Kennzahlen. Erschwert wird dies allerdings dadurch, dass bislang kein allgemeingültiges Rating existiert, an dem sich die Unternehmen orientieren können.”

Unternehmen sind in allen drei Bereichen aktiv – aber es bleibt noch viel Arbeit

Auch in der Einzelbetrachtung von E, S und G zeigt sich, dass die Wahrnehmung der Dringlichkeit einerseits und das Handeln durch klare Zielsetzungen und Leistungsindikatoren andererseits noch weit auseinanderklaffen:

Environmental – Haftung für Umweltrisiken wichtigstes Thema

Ein Großteil der Befragten gibt an, dass das Management von Umwelt-Haftpflichtrisiken künftig die ESG-Bewertung beeinflussen wird – daher haben bereits drei Viertel der Unternehmen Maßnahmen ergriffen, um Haftungsfällen aus Klima- und Umweltschäden vorzubeugen. „Gerade im Segment Environmental ist es herausfordernd, Risiken aus dem Produktionsprozess ohne größere Investitionen konkret abzumildern”, sagt Monika Behrens, Geschäftsführerin der Willis Towers Watson Versicherungsmakler GmbH. „Unternehmen sollten zunächst ihren ökologischen Fußabdruck sicher ermitteln und dann sehen, wie sie ihn mit gezielten, berechenbaren und finanzierbaren Maßnahmen verringern können.”

Zur Erreichung der Klimaziele haben sich im DACH-Raum 46 Prozent der Teilnehmer klare Ziele und Meilensteine gesetzt. Im Bereich der Kohlenstoff- oder Emissionsminderung verfügen sogar 75 Prozent über dokumentierte Ziele. Interessanterweise haben hier jedoch nur 32 Prozent der Befragten (im Vergleich zu 51 Prozent weltweit) formelle Ziele für längerfristige Klimarisiken und Widerstandsfähigkeit beschlossen (Abb. 3).

Social – Kriterien für soziale Verantwortung sind definiert

Im Bereich der sozialen Verantwortung haben Risikomanager klare Prioritäten festgelegt: Der Fokus liegt auf Datenschutz und Cyber-Sicherheit (97 Prozent), Sicherheit am Arbeitsplatz (88 Prozent) und Produkthaftung (79 Prozent).

Auffällig in der DACH-Region ist, dass weit weniger Befragte (39 versus 65 Prozent weltweit) das Thema Mitarbeiterbelastbarkeit als wichtig für das Risikomanagement einstufen. Dies überrascht, da die aktuelle WTW Medical Trend Analyse aufzeigt, dass die Kosten der Unternehmen aufgrund von mentalen Gesundheitsproblemen ihrer Mitarbeiter, beispielsweise Depressionen, stark ansteigen werden, so dass hier ein besonderer Bedarf besteht.

Governance – Lieferketten besonders im Fokus

Zwei Drittel der befragten Risikomanager gaben an, dass sie sich intensiv mit den Risiken im Bereich Governance befassen. Gerade für die DACH-Region fällt auf, dass besonderes Augenmerk auf die Lieferketten gelegt wird: So sagen hier beispielsweise 79 Prozent (weltweit 61 Prozent) der Befragten, dass sie ihre Zulieferer kontrollieren, um ESG- und Compliance-Regeln einzuhalten (Abb. 4).

Fazit: Es fehlt an Verständnis für die Risikosituation – messbare Ziele können helfen

Risikomanager sind der Ansicht, dass sie eine klare Rolle bei der Entwicklung und Steuerung von ESG-Strategien für Unternehmen spielen müssen. Um ESG-Risiken jedoch effektiv zu managen, müssen diese in messbare, überschaubare Risiken aufgeteilt und ein Risikomanagement-Prozess für sie eingerichtet werden. „Unternehmen sollten zunächst ihr ESG-Risiko verstehen und seine Auswirkungen, die Wahrscheinlichkeit und die Dynamik ebenso wie ihr Transaktionsrisiko zu ‚net zero‘ bewerten”, so Behrens. „Erst dann können sie es in ihr Risikomanagement einbinden und Minderungsstrategien dafür entwickeln.”